
Abeer, 22, hat sich entschieden in Syrien zu bleiben und dort zu helfen. Jetzt wurde ihre Stadt - Aleppo - von IS abgeriegelt.
Es ist Freitagnachmittag. Ich schalte das Radio ab. Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge. Seit Monaten nun schon. Ich mag es einfach nicht mehr hören. Mag mich nicht mehr damit beschäftigen.
Dann klingelt mein Handy und zeigt die Nummer meiner syrischen Kollegin Abeer. Für sie ist Sonntag. Trotzdem will sie mit mir reden. Sie kennt Feiertage schon lange nicht mehr. In ihrem Land gibt es nicht mehr viel zu feiern. Sie ruft mich aus unserem Büro in Damaskus an, wo sie jetzt wohnt. Bis vor kurzem lebte sie in der Millionenstadt Aleppo – dem alten Handelszentrum Syriens an der türkischen Grenze. Studierte dort, feierte dort, liebte dort. Wie man das eben so tut mit 22.
Abeer klingt wie immer gelassen. Nur die ungewöhnliche Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme verrät ihre Anspannung. „Aleppo ist seit 5 Tagen belagert. Die einzige Versorgungsstraße von der IS gekappt. Nichts und niemand kommt mehr rein oder raus“, erzählt sie mir. Bis 20 Meter vor die Uni seien sie vorgerückt. „Meine Mutter beginnt Lebensmittel zu horten und einzukochen.“
Jeder in Aleppo erinnert sich noch mit Schrecken an die letzte acht Monate andauernde Belagerung vor zwei Jahren. „Wir sind verrückt geworden. Liefen durch die Straßen auf der Suche nach Lebensmittel. Aber es gab keine und niemand wusste, wie lange das andauern würde.“

Abeer hat in Aleppo studiert als die ersten Bomben fielen. Jetzt arbeitet sie für die SOS-Kinderdörfer in Syrien und setzt sich für die Kinder Syriens ein.
Die aktuelle Belagerung Aleppos kam für die Bewohner überraschend. Fassbomben, Scharfschützen, Wasserknappheit, ja, das ist Alltag in Aleppo. Allein 50 000 Menschen flohen deshalb im letzten Monat aus der Stadt. Aber niemand rechnete damit, dass der IS die einzige Zugangsstraße verminen und blockieren könnte.
„Die Preise steigen gerade explosionsartig. Die Stromversorgung Aleppos hängt schon lange an Generatoren. Alle sind abhängig vom Diesel. Internet gibt es nicht mehr. Sie sind abgeschnitten von der Außenwelt“, berichtet sie weiter. Ich frage Abeer nach unserer Einrichtung, unseren Mitarbeitern. Sie wird ungeduldig. „Katharina, wir reden hier nicht von der Abriegelung eines kleinen Gebietes, sondern von einer Millionenstadt. Das ist eine Katastrophe.“
Sie schickt mir einen Link. „Das ist das einzige, was ich dazu im Netz finden konnte“, kommentiert sie nur. Ich begebe mich auf die Suche im Netz. Sie hat Recht: Kaum jemand berichtet über dieses dramatische Ereignis. Das ist mir unbegreiflich.
Die Situation in Syrien ist schwer vorstellbar. Die meisten Geschichten so grauenhaft, dass man sie lieber nicht in seine Welt lassen möchte. Und viele Geschichten werden offensichtlich auch einfach nicht erzählt.

Die SOS-Mitarbeiterin Abeer hilft denjenigen, die am dringendsten Hilfe brauchen - den Kindern in Syrien. Ob sie das weiter machen kann? Aleppo ist seit 5 Tagen belagert. Die einzige Versorgungsstraße von der IS gekappt.
Wie es ihrer Mutter geht, will ich wissen und ob ich etwas für sie tun kann. Schon als ich den Satz ausspreche, wird mir klar, wie lächerlich er für sie klingen muss. Was sollte ich von hier schon für sie oder ihre Mutter tun können?
Abeer schweigt dazu. Dann fällt mir auch ein, was ich tun könnte. Ich schalte das Radio wieder ein. Ich dränge Abeer, ihre Mutter, unsere Mitarbeiter, die Kinder und all die anderen Menschen nicht aus meinen Gedanken. Ich vergesse sie nicht.
Jetzt befinde ich mich wieder auf dem Weg zu den Balkangrenzen – dem Tor zur Hoffnung vieler. Erneut werde ich Menschen treffen, die versuchen dem Krieg zu entkommen. Nur diesmal ist es kälter. Viel kälter.
Der Beitrag Abgeschnitten von der Welt erschien zuerst auf SOS aus aller Welt.